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Dromedartrekking - Frühjahr 2009

Eindrücke von Werner Haar

Werner Haar auf seiner Tour im Frühjahr 2009

         Dulaa

Es erstaunt: Mit einem dumpfen blubbernden Dröhnen schiebt sich zwischen den Lippen des Dromedars ein sackartiger, widerlich aussehender Beutel aus dem Maul. Zunächst könnte man meinen, es handle sich um eine Kaugummiblase oder vielleicht um die Zunge. Sie ist es aber nicht, es ist ein Dulaa, ein Brüllsack, der von männlichen Tieren im Frühjahr, in der Paarungszeit verbunden mit ganz üblem Geruch aus Gaumendrüsen als Imponiergehabe beim Anblick von Fremden oder in der Nähe von geschlechtsreifen weiblichen Kamelen zur Schau gestellt wird. Blubbernd wird danach die Hautblase wieder eingezogen.

         Chameliers

Die fünf Dromedargruppen kannten sich nicht, sie waren erst seit wenigen Tagen zusammen. Mit den fünf Chameliers, jeder führte eine „Dreierbande“, nur Meschid hatte vier, ein noch junges Tier war dabei, das sich an die Arbeit gewöhnen sollte, begleiteten uns 16 männliche Tiere auf unserer Trekkingtour durch die südtunesische Sahara.
Nur einmal, ich meine, es wäre am vierten Tag gewesen, sahen wir in nicht allzu großer Entfernung in der Steppe eine Herde mit ungefähr 200 Kamelen. Unsere „Herren“ wurden unruhig, aber der Leitbulle der Herde verstand es, nachdem er die Situation als Gefahr für sich erkannt hatte, seine „Damen“ schnell von uns wegzutreiben.
Von Meschid erfahren wir, dass dieser Leitbulle bereits einmal schmerzliche Erfahrungen mit Antonio, seinem Leitbullen, gemacht hatte. Also: Doppelter Grund für ihn, seine Herde zur Flucht zu bewegen, mit den weiblichen Tieren schnell das Weite zu suchen, ob die wollten oder nicht.

         Dromedare

In der einzelnen Gruppe, es sind immer drei Tiere, beim Marsch sind sie hintereinander angebunden, ist die Rangordnung klar, anders kämen wir wohl auch nicht voran. Aber beim Rast am Mittag, während des Lagers am Abend, da finden dann die Rangkämpfe der Anführer statt. Manche werden angebunden, weit voneinander entfernt an starke Büsche. Mit Stricken sind bei allen die Vorderbeine zusammengebunden, trotzdem ent-fernen sie sich während der Rast.
Beschir hat Mühe und braucht Zeit am anderen Morgen, um alle wieder zu finden. Sie entfernen sich durch die Nacht staksend weit vom Lager, auf der Suche nach Futter, Ginster vorwiegend, oder auch um den Rivalen eins auszuwischen. Die Aufregung bei allen war groß, als eines Abends zwei Bullen auf einander losgingen. Ali und Beschir konnten sie trennen, es war nichts passiert. Nachts „kühlen“ auch die Kamele ab: Die Körpertemperatur sinkt um bis zu 10° und damit wohl auch die Lust, sich mit anderen Bullen auf Rangkämpfe einzulassen.
Überhaupt, es ist nie etwas Ernsthaftes passiert. Unsere Begleiter sorgten dafür.

         Ali, Mohammed, Meschid, Beschir und sein Bruder

Ali, der „Chef“ unsrer Kamelführer, zum ersten Mal war er Chef. Die Gruppe war in dieser Zusammensetzung bisher noch nicht zusammen, aber sie kannten sich.
Jeder hat seine Aufgabe. Mohammed kochte, abwechslungsreich und wirklich gut. Meschid backte drei Mal am Tag Brot, Sandbrot – es bestand aus Weizenmehl, Salz und Wasser und schmeckte köstlich. Nicht ein einziges Mal hatte ich ein Sandkorn im Mund. Vor dem Gefühl des Knirschens zwischen den Zähnen hab ich mich gefürchtet, aber es stellte sich nie ein. Wie er das hingekriegt hat, Brot im Sand backen und dann keinen Sand zwischen den Zähnen haben?
Zunächst wird ein Feuer gemacht -  bis Glut entstanden ist die Zutaten gemischt und der Teig kräftig geknetet. Über einem kleinen Sandhügel, den Meschid angehäuft hat, legt er eine große Decke und darauf ein Tuch. Darüber wird der Teig ausgebreitet und zu einem großen Fladen geformt. Den Fladen hebt er dann vorsichtig in die Holzasche und deckt ihn mit dieser und heißem Sand zu. In dem Naturbackofen entsteht in einer Viertelstunde ein knusprig gebackenes Sandbrot, die Holzasche und den Sand schlägt er nach dem Backen mit einem Tuch ab – ein wunderbar schmeckendes Brot ist gewor-den. Sein Duft hat uns dreimal am Tag zum Essen gelockt.
Beschir und sein Bruder sorgten für das Feuer und den Tee, Ali, der „Chef“ half bei jedem. Er packte an, wo es nötig war. Sie harmonierten einfach miteinander, nie hörten wir ein lautes  oder gar ein böses Wort.
Diese Harmonie hat sich auf uns übertragen.

         Teilnehmer

„Uns“ - das waren Fred, der unbedingt seinen 60. Geburtstag weit ab von der Zivilisation und den vielen möglichen Gratulanten verbringen wollte und Irene, die eigentlich überhaupt nie in die Wüste und schon gar kein Trekking machen wollte („Wie viele Stunden am Tag muss man da laufen?“), am Schluss der Tour war sie genauso begeistert wie wir alle, Evi, die Expertin, englisch, schwäbisch, französisch und arabisch sprechend, ihre Freundin Kristine, meine Frau, bereits zum zweiten Mal bei einem Dromedartrekking dabei, dieses Mal aber einen besseren Schlafsack dabei hatte als im Januar 2006 nach dem Sahara-Festival von Douz, die Doktores Berni und Wolfgang, ihr „Dabeisein“ beruhigend nicht nur für ihre Frauen Ursel und Inge, obwohl niemand gesundheitlichen Schaden erdulden musste, weder wegen des Essens (mögliche Bakterien wurden vom Harissa vertrieben, dem tunesischen „amuse gueule“) noch wegen der großen Temperaturunterschiede (tagsüber 25° und nachts 0°) und auch nicht wegen irgendwelcher gefährlicher Tiere wie Skorpione oder Schlangen, denen ist es im Frühjahr noch zu kalt, um sich mit Menschen anzulegen. Trotzdem haben wir die Schlafsäcke im Berberzelt vor der Nachtruhe untersucht. Ja und dann waren noch der Helmut dabei, Komiker par exellence und sein 26jähriger Sohn Jörg, eben zurück vom Auslandsstudium in Aix-en-Provence, humoristisch begabt wie der Vater und dazu noch ein großes Sprachtalent, Meschid hat ihm Einiges auf arabisch beigebracht und ihn zu sich nach Hause eingeladen.
Ich war zum ersten Mal bei einer Wüstentour dabei, wie alle außer Evi und Kristine, und wie alle sicher nicht zum letzten Mal. Alle meine Bedenken, die mich vorher von einer Méharée abgehalten hatten, haben sich nicht bestätigt.
Das Essen war abwechslungsreich und wohlschmeckend, auf den Wein dazu mussten wir natürlich verzichten, aber das ließ sich machen. Das Reiten im Kamelsattel bereitete meinem Rücken genauso wenige Probleme wie die Nachtruhe in Schlafsack und auf der dicken Isomatte. Auch das Gehen durch den Saharasand war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Und so wurde es zu meiner bisher schönsten Reise.
Sie war einfach nur schön -  unvergesslich, unbeschreiblich, beeindruckend schön: Sahara eben!

         Faszination

Natürlich, die Sonnenauf- und die Sonnenuntergänge, der Sternenhimmel, davon haben wir alle schon gehört, Bilder gesehen, das weiß man, aber dass er so faszinierend ist in seiner Unendlichkeit, im Glanz, den diese unzähligen Sterne ausstrahlen vor dem tiefen Schwarz, ihn aus dem halboffenen Berberzelt auf dem Rücken liegend sprachlos bestaunend, man redet ja nicht, wenn man so ergriffen ist, natürlich, die Farben des Saharasandes, die Formen der Dünen, die der Wind ununterbrochen verändert, ja, man hat es gesehen, auf Bildern, in Filmen, aber dass das alles so ist, wie es ist, wenn man drin steht, geht, liegt, schaut und …staunt.        

         Orientierung

Die Chameliers fanden meistens den Pfad, der einen relativ festen Untergrund hatte, vom Wind festgepresst, wo man nicht einsank, nicht abrutschte.
Wir haben sie in der Nähe des Chott el Djerid getroffen, mitten in der Steppe, südöstlich von Douz, dem letzten Städtchen vor der Sahara. Es war uns schleierhaft, wie Lazari, unser Geländewagenfahrer, der uns in Djerba abgeholt hatte, diesen Treffpunkt finden konnte. Uns Neulingen war aber ohnehin so viel schleierhaft. Die Frage an Ali: „Wie findet ihr euch in der Wüste zurecht? Wie findet ihr den gesuchten Ort?“ beantwortete er mit der Gegenfrage an uns: „Wie findet ihr euch in einer Groß-stadt zurecht?“

         Tataouine, Corne de Gazelle und das Daharbergland

Geländewagen waren es dann auch, die uns von der Oase Ksar Ghilane, wo wir uns von den Chameliers und ihren Kamelen verabschieden mussten, ins Daharbergland brachten. Auf der Fahrt dorthin besichtigten wir zwei Speicherburgen (eindrucksvolle Architektur der Berber) und machten einen längeren Halt in der südlichsten Regional-hauptstadt Tunesiens, Tataouine.
Tataouine ist auch bekannt für seinen schönen Markt und für die Herstellung von „Gazellenhörnchen“ (Corne de Gazelle) in der Patisserie Mabrouk, ein köstliches Gebäck (Teighörnchen, gefüllt mit gemahlenen Nüssen und Mandeln und dann in heißem Honig gebacken), das gerne als Dessert (z.B. in Raoufs Restaurant in Douiret) gegessen und bis Paris geliefert wird.
Das Daharbergland hat mich doch sehr an das Colorado-Plateau im Südwesten der USA erinnert. Die Kalkstein-Massive sind wegen des geringen Niederschlags kahl, das bedeutet, sie sind starker Erosion ausgesetzt und nur das Kerngestein bleibt stehen. So entstehen eindrucksvolle ockerfarbene Tafelberge, quarzdurchsetzt, was ihnen zu einem wunderbaren Glanz in der Sonne verhilft.
Besonders ist uns das bei Douiret aufgefallen, wo wir im Ksar Douiret in dem kleinen, liebevoll hergerichteten Wohnhöhlenhotel von Raouf geschlafen haben und wo wir mit Abdullah, seinem Bruder, durchs Gebirge gewandert sind. Raouf hatten wir schon in Tataouine getroffen. „Evi, Evi“ schallte sein Ruf durch die Gasse vor der Bank. Sie kennen sich schon lange. Seine Mutter und seine Schwestern kochen im kleinen Restaurant vom Ksar Douiret, die anderen Brüder machen Musik und wie bei den Chameliers am Lagerfeuer in den Sanddünen haben wir nach dem Essen gesungen und getanzt.

         Couscous

Unsere Reise durch die südtunesische Sahara begann mit einem Couscous und sie endete mit einem Couscous. Auch Mohammed hat uns zweimal in der Wüste beim Méharée dieses tunesische Gericht serviert mit Lammfleich und Gemüse.
Der Beginn war in Meidelstetten auf der Schwäbischen Alb. Zwölf Leute saßen um un-seren Esstisch herum und ließen sich das Ziegen - Couscous schmecken, das wir zubereitet hatten. Die Ziege, die daran glauben musste, war vom Loretto-Hof bei Zwiefalten, das Rezept für das Couscous aber aus Tunesien. Evi hatte es mitgebracht. Sie lebt ja schon seit 15 Jahren dort mit Mourad und inzwischen mit Yakoub und Selma, den Patenkindern meiner Frau. Beim Essen konkretisierte sich die Idee, gemeinsam ein Dromedartrekking, ein Méharée, zu machen.

Fünf Monate später saßen wir wieder zusammen bei einem Ziegen-Couscous, diesmal  im Ksar Douiret (auch dort muss man hin!) bei Raouf, am Ende unseres Trekkings durch das Daharbergland, denn bereits am nächsten Morgen sollte es zurückgehen nach Djerba.

Meine bisher schönste Reise war damit zu Ende. Aber ich werde wiederkommen.

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